…aber ich habe es geschafft. Es ist sogar auf Strava.
Ein üblicher Bericht über den Vätternrundan würde jetzt hier beginnen mit dem persönlichen Gemüt. „Boah, ich war aufgeregt. Hab ich schlecht geschlafen. Mann, ist das hell bzw. gar nicht wirklich dunkel. Ich habe mir mit meiner Rapha Brevet Zahnbürste die Zähne geputzt, etc.“
Die Wahrheit ist: All das ist aber nebensächlich. Ich bin mit keiner Erwartungshaltung an diesen Tag rangegangen. Es war mir ein Stück weit egal. Ich dachte mir: Ich versuche es. Wenn ich nicht mehr kann dann halt Stop und ich lasse es eben. So war die Birne frei.
Banane in Motala, 0km
Nachdem ich mir jedenfalls mit meiner Rapha Brevet Zahnbürste die Zähne geputzt habe, war unser Start um 5:06 Uhr. Gleich nach dem Start geht’s direkt um die Kurve auf eine Rampe. Mit 503 Trainingskilometern in den Beinen fühlte sich das auch gleich episch an. Das kann ja noch heiter werden. Auf der Strecke zeigen Schilder die Restdistanz an. Als ich nach 10km das erste Schild mit 290km zur Aufmunterung gesehen habe, dachte ich nur: „Fuck! Das wird noch eine sehr weite Reise.“ Gleichzeitig war es motivierend. Ich malte mir aus: Ok, wenn ich das Schild mit 200km Restreichweite erreiche, dann kann ich es schaffen. 200km ist das Doppelte von 100km und 100km kennt man. Aber wir waren bei 290km und hatten noch einen sehr langen Weg vor uns.
Hunger
Der erste Teil der Strecke war für mich eigentlich der anstrengendste. Nach dem Zähneputzen hätte ich mir eigentlich noch ein bisschen mehr Frühstück gönnen sollen. Recht schnell kam nämlich der Hunger. Rennrad fahren und Essen ist ja gewissermaßen symbiotisch. Daher der Plan, bei jeder Station zu halten und zu essen. Apoporos Essen und Halten: In dem Zusammenhang frage ich mich immer, wie man auf die bescheuerte Idee kommt, so einen Rucksack mit sich zu schleppen. 10.000 EUR in Carbon und dann schnallt man sich einen Rucksack mit Strohhalm um? Während man um einen See voller Wasser fährt? Vor allem: Wie sieht das bitte schön aus? Abgesehen zu meinen Gedanken zum Rucksacktourismus in Schweden kann ich sagen, dass sich meine 300km um den See sich in kulinarische Etappen einteilen ließen. Also:
Station 1 Ödeshög, ca. 7 Uhr
Gott sei Dank ein Klo und ein paar Salzgurken mit Kaffee (Nein, ich bin nicht schwanger). Um die Uhrzeit schon recht sportlich aber verdammt war das lecker. Alles fühlte sich soweit normal an, also wieder rauf aufs Rad und weiter.
Bei Kilometer 80 bekam ich jedoch den Mega Hunger Flash (ich dachte nur noch ans Essen, Steak mit Pommes, Steak mit Kartoffeln, Kötbullar mit Kartoffelbrei…). Die Station 2 bei Ölmstadt ließen wir aus. Der Ruf nach Köttbullar war zu groß und ein Brötchen hätte es nicht getan. Also durchhalten bis:
Station 3 Jönköping, 102km:
Die besten Köttbullar mit Kartoffelbrei in meinem ganzen Leben. Und wieder Salzgurken. Ich liebe Salzgurken, habe aber ehrlich gesagt nie soviel Gurken an einem Tag gegessen wie an diesem. Der Bedarf an Salzgurken für dieses Jahr ist auf jeden Fall erstmal gedeckt.
Von da an ging alles relativ easy. Den Magen mit Köttbullar, Kartoffelbrei, Kaffee und Salzgurken gefüllt ging es weiter. Im Kopf war ich soweit, dass ich dachte: Ja, das könnte machbar sein. Der Plan an jeder Station zu halten war gut für den Kopf. Dadurch war alles immer in knappe 40km Etappen eingeteilt.
Nach meinen Kötbullar war auch genug Energie getankt um richtig Spaß an der Sache zu haben. Also raus aus Jönköping und wir begannen die ersten Teilnehmer aus der Nacht zu überholen. Ihre Startzeiten waren auf ihren Rückennummern vermerkt. Ich dachte nur: Respekt für die Leute. Die Startzeit auf ihren Schildern war 1:50 Uhr. Der Weg war für uns noch sehr weit, aber für die wohl noch viel weiter!
Angekommen in Fagerhult bei Kilometer 133km
Die Hälfte bei 150 war zum Greifen nah und ich fühlte mich wirklich gut. Zum Glück wieder ein Klo und was zu essen und weiter ging es. Der Po fühlte sich langsam etwas unangenehm an, also nur nicht allzu lange halt machen. Wir verliessen Fagerhult und klemmten uns an zwei nette Herren in den Windschatten. Nach gefühlten 20km boten wir einen Führungswechsel an und rollten gemeinsam die Etappe zu Ende. Führung! Ich! Ohne Rucksack und ohne Training! Das waren schließlich die schnellsten und mitunter schönsten 40km auf dieser Strecke – auch dem Windschatten am Anfang sei Dank. Und dann:
Lasagne in Hjo!
Zu verlockend um zu widerstehen und viel zu lecker. Irgendwie schmeckte einfach alles sogar die Blaubeersuppe. Ich hätte sogar wieder eine Salzgurke haben können.
Tipp am Rande für die Frauen: Wer denkt man nimmt bei solch einer Tour ab – weit gefehlt. 297km und 6.997 Kalorien später freute sich meine Waage über 3kg mehr (zum Glück nur Flüssigkeit, aber die Freude war erstmal groß).
Zurück zu Hjo und der Lasagne
Nach kurzer Pause verließen wir zu zweit wieder die Station. 171km waren geschafft. Ich hätte nie gedacht, dass ich bis dahin komme und auch noch stehen kann geschweige denn Spass an der Sache hab und weiterfahren möchte. Aber ja, ich wollte es und ich wollte es schaffen. Im Kopf setzte ich mir als nächstes die 250km Marke. Ich wusste, die letzten 50km würde ich dann auch noch irgendwie schaffen.
Die Fahrt von Hjo weiter zur nächsten Station war sehr schön. Man fuhr relativ viel am Wasser entlang und konnte den Vätternsee das erste Mal so richtig genießen.
Kilometer 204 Karlsbourg
Karlsbourg war eine super nette Station. Hunger hatte ich nicht wirklich, dafür Durst ohne Ende. Highlight waren die Liegestühle mit einer super Massage dank Flowline: Ein kleines Massagekissen für den Nacken, was mega entspannend war.
Die Pausen mussten jetzt recht kurz gehalten werden, sonst wäre gar nichts mehr gegangen. Der Po war taub der Rücken tat weh. Dafür macht es ab jetzt so richtig Spaß. Im Kopf war ich so gut wie durch und dachte nur noch, das kannst du wirklich schaffen. Also ging es weiter bis
Kilometer 225 Boviken und dann Mediven 274
Hier wurde ich gewarnt, dass es einen wirklich fiesen Anstieg geben sollte. Irgendwie empfand ich das zum Glück gar nicht so und wir huschten nur darüber.
Und dann kam es wirklich worauf ich die ganze Zeit gewartet hatte, das Schild
Noch 10 Kilometer
Ich dachte an den Morgen zurück. Die letzten 10km waren die besten, schnellsten und vor allem schönsten des ganzen Tages. Und schon waren wir wieder in Motala. Bekannte Strassen vom Start Abendlicht und plötzlich waren wir auf der Zielgeraden. Die Leute links und rechts klatschen. Es herrscht eine super Stimmung. Dann ist es soweit. Wir rollen über die Ziellinie und kommen zum Stand. Eine Dame überreicht uns die Medaille.
300km sind zu Ende
Es war eine sehr schöne Reise für einen selbst. Am Ende standen 11:35 Stunden netto Fahrtzeit und knapp 15:45 Std. brutto auf der Uhr. Aber die schnöden Zahlen sind am Vätternsee egal. Das Gefühl bei der Zieleinfahrt war unbeschreiblich und unvergesslich. Wenn man die 300km erstmal geschafft hat, ist alles andere irgendwie nicht mehr nennenswert. Ich kann es jedem nur empfehlen.
Und: Ja, es geht auch ohne Training.
PS: Nach Zieleinlauf dürfen Beifahrer dann auf langweiligen Fähren auch ein episches Video daraus machen. Viel Spaß:
Schöner Artikel, nächstes oder übernächstes Jahr bin ich dabei. Als Specialized-Guy 😂
Gut geschrieben, nur leider ein kolossaler Fehler: Fähren sind ein Schweden nie langweilig, per definitionem. Steht so auch bei Wikipedia 😉